Predigt von der Seniorenfreizeit

 

 

Predigt zu Matthäus 26,36-46

Abschlussgottesdienst Freizeit Nonnenhorn 30. September 2012

von Prädikant Ernst-Dieter Wiedenkeller


Herr, mach uns still und rede du! Amen

 

Liebe Schwestern und Brüder!

In unserer Freizeit haben wir viel von Schwachheiten gehört, Schwachheiten von bekannten Persönlichkeiten wie Paulus, Petrus oder Elia, aber auch von weniger bekannten Personen wie manchem Psalmbeter. Im Mittelpunkt des heutigen Gottesdienstes soll die Schwachheit eines Mannes im Mittelpunkt stehen, der die entscheidende Kraft im Leben eines jeden von uns sein will: Jesus von Nazareth. Wir wollen uns heute Morgen vor allem Kraft aus einer Geschichte im Leben unseres Herrn holen, die eine seiner schwächsten Stunden beschreibt: aus seinen Stunden am Vortag seines Sterbens im Garten Getsemani.

Hören wir auf Matthäus 26, 36-46.

Ja, liebe Schwestern und Brüder, hier erleben wir Jesus nicht als den starken Prediger und Wundertäter, sondern als Menschen in seiner ganzen Schwachheit und Angst. Wir hören davon, dass ihn wenige Stunden vor seinem Tod Angst und tiefe Traurigkeit befielen. Das gesteht er auch seinen drei engsten Vertrauten Petrus, Johannes und Jakobus: “Ich bin so bedrückt, ich bin mit meiner Kraft am Ende.“

Wie gut ist es, dass wir einen Herrn haben, der nicht über unseren Ängsten und Traurigkeiten, über unserer Bedrückung und Kraftlosigkeit steht, sondern dem alle unsere Schwachheiten und Verzagtheiten nicht fremd sind, weil er sie am eigenen Leib erlebt hat.

Jesus zeigt uns aber in dieser Geschichte auch Wege, die aus meinen Schwachheiten und Ängsten herausführen.

Er wendet sich zunächst seinen engsten Freunden zu. Aber er bittet sie nicht: “Holt mich heraus, wenn gleich die Soldaten kommen. Verteidigt mich! Rettet mich!” – Nein, er bittet sie: „Bleibt in meiner Nähe und schlaft nicht ein. Bleibt mit mir wach. Tragt ein Stück mit von dem, was ich tragen muss, und betet, damit ihr nicht selbst in Anfechtung, in Versuchung fallt, schwach und verzweifelt zu sein.“ Jesus braucht in seiner Trauer und Verzagtheit Menschen an seiner Seite. Ihre Nähe soll ihm ein Stück Kraft verleihen, Kraft verleihen für einen Weg, der ihm fast zu schwer ist zu gehen. Wir kennen solche Situationen genau von unseren schweren Krankheiten oder von unseren Krankenbesuchen, von unserem Wachen an Sterbebetten. Wie ungeheuer wichtig ist es in solchen Momenten, dass der Leidende nicht alleine ist, dass da einer ist, mit dem ich mich aussprechen kann, der einem die Hand hält in solchen Stunden größter Schwäche, vielleicht mit einem stillen oder lauten Gebet wie: „Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.“ Vielleicht mit einem Trostlied. Ich wünsche uns allen besonders in solchen Momenten größter Schwäche Menschen an unserer Seite, die mit ihrer Nähe mithelfen, meine Schwäche zu ertragen. Und die meisten von uns haben nicht nur die Wohltat körperlicher Nähe erfahren. Es ist auch eine ungeheure Kraftquelle, wenn ich weiß: Da betet einer für mich. Meine Gebete und die anderer können durch Schwachheiten hindurch tragen. Ihr könnt sicher sein: Solche Menschen, die uns nahe bleiben und die für uns beten, sind uns von Gott geschickt! Und so braucht auch Jesus in seiner tiefen Traurigkeit und Todesangst nicht nur Menschen an seiner Seite. Er braucht vor allem den, dem er sein Leben ganz und gar anvertraut hat: seinen Vater im Himmel. Vor ihm wirft er sich nieder als Zeichen dafür: Dir unterwerfe ich mich ganz. Ich bin ganz in deinen Händen. Und er legt ihm sein ganzes Elend, seine ganze Angst vor die Füße. Er redet nicht drum herum, sondern macht klar: „Ich wünsche mir eigentlich nicht diesen Leidensweg, der vor mir steht. Ich weiß nicht, ob ich das alles tragen, ertragen kann. Ich fühle mich schwach und elend.“ Und er braucht dafür das Bild des Kelches, der an ihm vorüber gehen soll. Das war in der damaligen Welt ein gebräuchliches Bild. Man sprach vom Becher des Zornes Gottes, aus dem manche trinken mussten, man sprach aber auch z.B. bei Märtyrern vom Becher des Leidens, vom Leidenskelch, den sie trinken mussten. Jesus wusste: Wenn ich diesen Leidensweg zum Kreuz gehe, wenn ich diesen Kelch trinke, dann trinke ich ihn nicht für mich, sondern anstelle aller schuldbeladenen Menschen, die Gottes Zorn verdient haben.

Eine ungeheure Last, die Jesus tragen sollte. Und in seiner Angst, darunter zu zerbrechen, können wir seine Worte nur allzu gut verstehen: „Vater, wenn es möglich ist, dann gehe dieser Kelch an mir vorüber!“

So wie Jesus dürfen wir auch in unseren Schwachheiten und Ängsten bitten: Vater, wenn es möglich ist, bewahre mich davor! Aber jeder unter uns hat schon erfahren, dass Gott uns trotz unseres Bittens nicht alles Leiden und allen Schmerz erspart, dass Schwachheiten bleiben oder sogar noch größer werden.

Auch Jesus weiß das. Aber er weiß auch, dass etwas mehr wert ist als alle unsere Bewahrungswünsche: Und das ist Gottes Wille. Und er ringt sich durch zu dem Satz, den auch wir gleich wie in jedem Gottesdienst im Vater-unser sprechen werden: Dein Wille geschehe. Meinen Willen, vor dem Leidensweg bewahrt zu werden, kennst du. Aber viel mehr Wert als mein Wille hat dein Wille, lieber Vater im Himmel!

Wie schwer fällt uns dieser Satz. Wir meinen doch immer, wir wüssten allein, was uns gut tut. Und wer von uns glaubt schon an den Wert von Schwachheiten und Ängsten. Wir sind weit entfernt davon, solche Momente in unserem Leben zu loben, wie wir es z.B. von Paulus gehört haben. Unser Lebensparole lautet doch eher: Meide den Kummer und meide den Schmerz! Gott sieht das oft ganz anders. Mancher von uns kennt Menschen, die erst in solchen Tiefen, in Schwachheiten ihres Lebens Gott gefunden haben. Viele von uns können es sicher auch selbst bezeugen: Gott hat mich nicht vor dem Leiden bewahrt, aber er hat mich hindurchgetragen. Er trägt mich auch heute, und er wird mich auch hindurch tragen, wenn ich meinen letzten Weg antreten muss. Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hände. Und Geborgenheit in seinen Händen, das ist der Himmel der mir heute schon offen steht.

Jesus hatte es selber gepredigt, wenn er sagte: „Nicht alle, die zu mir Herr, Herr sagen, werden in den Himmel kommen, sondern nur die, die auch tun, was mein Vater im Himmel will.“

Der Wille Gottes, den Jesus erfüllen soll, ist das Heil, die Rettung, die er durch das Leiden und Sterben seines Sohnes allen Menschen schenken will.

Der Wille Gottes, den wir erfüllen sollen, kann für jeden von uns anders aussehen. Deshalb sollten wir besonders an Schaltstellen unseres Lebens bitten: Herr, zeige mir deinen Weg mit mir!“ Und das ist oft nicht mit einem Gebet getan. Habt wie Jesus in unserer Geschichte den Mut, Gott immer wieder in den Ohren zu liegen. Und ihr könnt sicher sein: Gott zeigt uns Wege, die wir gehen können. Manchmal sind es die nahe liegenden Wege. Ein Bruder hat einmal zu mir gesagt: Gehe die Wege, bei denen Gott dir keine Hindernisse in den Weg legt. Manchmal werden wir aber auch über Umwege geführt. Gott zeigt uns und führt uns Wege, die über Höhen und Tiefen gehen. Und nicht immer sind die Wege über die Höhen die besten für uns. Jesus muss das in Getsemani ganz besonders erkennen.

Unsere Geschichte zeigt uns aber nicht nur Jesus in einem Augenblick der Schwäche. Auch seine Freunde zeigen sich schwach.Zweimal bittet er sie: Wacht mit mir! Doch sie bringen es nicht fertig, mit ihm wach zu bleiben. Jedes Mal schlafen sie wieder ein. Und er spricht den Satz, der bei uns schon zu einer Art Sprichwort geworden ist: „ Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Hier benennt er eine andere Art von Schwachheit in unserem Leben: Der menschliche Wille unterliegt oft dem Fleisch, d.h. meiner menschlichen Natur, in unserer Geschichte der Müdigkeit.

Das kennen wir in unserem Leben sehr gut. Und es geht hierbei nicht nur um unser Lustlosigkeiten, Trägheiten oder um unsere Ess- oder Trinkschwächen. Paulus hat diesen Satz Jesu in seinem Leben einmal so ausgedrückt: „Wir bringen es zwar fertig, uns das Gute vorzunehmen. Aber wir sind zu schwach, es auszuführen. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Er fühlt sich von seinem Fleisch, von seinen Gliedern, wie er es nennt, gefangen genommen und stößt schließlich den Seufzer aus: Ich unglückseliger Mensch! Wer rettet mich aus dieser tödlichen Verstrickung? Doch er macht in seinem Leben mit seinen Schwächen so wunderbare Erfahrungen, so dass er sofort eine Antwort auf diesen Rettungsruf geben kann: „ Gott sei gedankt durch Jesus Christus. Er hat es getan. Er hat mich befreit. Er gibt mir Kraft, das Gute zu tun.“

Und solch wunderbare Kraft bekommt auch Jesus selbst in unserer Geschichte: Nachdem er drei Mal im Gebet die Bitte ausgesprochen hat: Dein Wille geschehe!, hat er Klarheit über seinen Weg: Gott will, dass er den Weg durch die Tiefe des Todes geht. Noch hat Jesus die Hoffnung, dass er diesen Weg nicht alleine gehen muss. Er weckt seine Freunde. “Steht auf, wir wollen gehen! Gottes Stunde bricht an.“

Auch uns ruft er heute Morgen zu: Steht auf! Steht auf, ihr Christen! Auch wenn es mit eurer körperlichen Beweglichkeit nicht mehr so gut geht: Nehmt teil am Leben dieser Welt! Geht nicht auf Tauchstation! Das gilt für das Mitleiden und Begleiten in euren Familien und Freundeskreisen, das gilt auch für das Geschehen in aller Welt. Jesus ruft auch euch heute Morgen zu: Wachet und betet! Da könnt ihr noch ganz stark sein!

Und Jesus geht den Weg, den Gott von ihm will. Er trinkt den bitteren Kelch bis zum Tode am Kreuz. Er wird in seiner Schwachheit noch nicht erlöst. Nicht nur seine Freunde fliehen vor Angst, er fühlt sich am Ende sogar von Gott verlassen, wenn er am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Auch wir werden manchmal Wege geführt, wo wir uns von Gott verlassen fühlen, wo wir uns kraftlos unserer Schwachheit ausgeliefert fühlen. Deshalb ist es gut zu wissen, dass Jesu Verzweiflungsschrei nicht das Letzte war. Er war Durchgangsstation zu dem, was wir vorhin bekannt haben: Er sitzt zur Rechten Gottes. So wie Gott ihn aus allen Schwachheiten und Verzweiflungen erlöst hat, können wir uns auf die Kraftzufuhr Gottes im Leben und im Sterben verlassen.

Wir werden gleich auch aus einem Kelch trinken. Aber für uns ist es dann kein Zorneskelch oder Leidenskelch mehr wie bei Jesus, sondern ein Kelch des Heils. Denn wir wissen: Jesus hat diesen Kelch getrunken, um uns vor Gottes Zorn zu schützen, um uns ein für alle Mal in seinen Liebesbereich zu bringen, um uns in unserer Schwachheit zu stärken. In diesem Wissen dürfen wir heute Abendmahl feiern und morgen getrost den Heimweg antreten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn! Amen